Der Einsatz komplexer Regelwerke in SCM-Projekten
Unser privater wie beruflicher Alltag ist geprägt von Entscheidungen. Dabei begegnen uns häufig die folgenden Fragen: Welchen Spediteur soll ich wählen, den günstigsten oder den zuverlässigsten? Wo soll ich meine Güter zwischenlagern, im Lager oder nahe des Warenausgangs?
Sorgfältig aufgesetzte Regelwerke können eine sehr gute Entscheidungsgrundlage sein, um Prozessabläufe weitestgehend zu automatisieren und den Fokus auf Ausnahmesituationen zu lenken. Auch erhöhen sie die Wiederverwendbarkeit von Applikationen oder Funktionen, wenn die Eingangsvariable je nach Einsatzzweck anders verarbeitet wird.
"A business rule management system is a critical piece of software infrastructure that no modern IT organization should be without"
– James Taylor (Founder and CEO of Decision Management Solutions)
In diesem Beitrag wird erläutert, warum Taylors Aussage von 2012 bis heute von Relevanz ist und welche notwendigen Aktionen sich daraus für Ihr Unternehmen und Ihre Softwarelösungen ableiten lassen.
Wo begegnen uns Geschäftsregeln in der Logistik?
Bereits in einem einfachen Szenario der LKW-Hofsteuerung gibt es unzählige Geschäftsregeln, die den Prozess steuern und beeinflussen.
Welcher LKW darf als nächstes zur Be-/Entladung in das Werk? | Regeln für die Priorisierung von wartenden LKW für den Abruf in das Werk oder an die Ladestelle. |
Welche Dokumente müssen gedruckt werden? | Regeln für den Druck von Dokumenten in Abhängigkeit des jeweils vorliegenden Szenarios (z. B. Gefahrguttransporte oder Exportgeschäfte). |
Was ist die nächste Station des LKW – Entladestelle für Schüttgut, weiterer Warteplatz für einen Feinabruf? | Regeln für die Routenplanung der LKW auf dem Yard. |
Wann soll welcher Prozessbeteiligte (z. B. Fahrer, Disponent, Spediteur) automatisiert eine Nachricht erhalten und welche Informationen sollen darin enthalten sein? | Regeln für Alerts und Benachrichtigungen, die versendet werden sollen. |
Automatisierung versus Agilität
Die Umsetzung solcher Regeln ist schwierig und die beiden Ziele „Automatisierung“ und „Agilität“ können in einem Zielkonflikt stehen. Oftmals werden Regeln hart im Code der IT-Lösung programmiert, damit sie automatisch ausgeführt werden. Das andere Extrem ist die Implementierung der Regeln als taktisches Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter.
In diesem Fall weiß der Versandmitarbeiter aus Erfahrung und gelernten Regeln, welchen LKW er als nächstes in das Werk zu rufen hat. Dies ermöglicht eine einfache Änderung und Erweiterung, wohingegen programmierte Regeln zumeist nicht ohne größeren Aufwand und unter Einbindung der IT-Organisation geändert werden können. Einen Kompromiss stellen dokumentierte Regeln dar, die einerseits schnell geändert werden können und andererseits eine gewisse Automatisierung bieten.
Die Bedeutung von Business Rule Management Systems
Ein BRMS ist ein dediziertes IT-System für die Erstellung, Verwaltung und Ausführung von Regeln. Es ermöglicht eine Trennung der Geschäftsregeln von den Geschäftsprozessen.
Die Regeln sind dadurch nicht mehr im Programmcode einzelner Applikationen enthalten, sondern in einem separaten System. Sie lassen sich aus den Programmen und Prozessen aufrufen.
Diese Trennung der Geschäftsregeln von der übrigen Logik und dem Code anderer Applikationen bietet den Unternehmen viele Vorteile:
- Volatile Geschäftsregeln können flexibel und durch die Fachbereiche selbst modifiziert werden. Dabei müssen weder die Geschäftsprozesse noch der Programmcode verändert werden.
- Die Regeln können automatisiert aufgerufen und ausgeführt werden.
- Mithilfe eines BRMS können besonders komplexe Geschäftsregeln modelliert werden.
- Die Geschäftsregeln werden zentral gespeichert und verwaltet. Das bietet Konsistenz, Kontrollmöglichkeiten und Transparenz.
Implementierung von Geschäftsregeln mit BRFplus
Business Rules Framework plus (BRFplus) ist eine BRMS-Lösung der SAP und seit 2008 als Teil des SAP NetWeaver 7.0 verfügbar. BRFplus kann somit theoretisch von jeder SAP-Anwendung genutzt werden. Der Aufruf erfolgt in der Regel aus dem jeweiligen Programmcode.
Die Nutzung von BRFplus anstelle anderer BRMS hat für SAP-Kunden den Vorteil, dass keine weiteren Hardwarekosten für Server oder Lizenzgebühren anfallen. Außerdem müssen keine Schnittstellen zu den SAP-Anwendungen geschaffen werden und auch die Verwaltung kann durch die Administration des gesamten SAP-Systems abgedeckt werden.
Möglichkeiten bietet BRFplus?
Dabei bietet BRFplus mächtige Funktionalitäten für das Modellieren, Verwalten und Ausführen von Geschäftsregeln. In sogenannten Funktionen und Regelsätzen können die Geschäftsregeln mithilfe verschiedener Ausdrücke und Aktionen implementiert werden. Dazu gehören unter anderen:
- Entscheidungstabellen
- Formeln
- Tabellenoperationen
- Entscheidungsbäume
- Suchbäume
- Schleifen
- Funktionsaufrufe
- Prozeduraufrufe
SAP nutzt das Potenzial von BRFplus beispielsweise im SAP Transportation Management, welches standardmäßig eine Vielzahl vordefinierter Absprünge in kundenindividuelle BRFplus-Regelwerke ermöglicht. Des Weiteren kann BRFplus mittlerweile auch für die Preisfindung im SAP ERP genutzt werden und in S/4HANA wird auch die Nachrichtenfindung auf BRFplus umgestellt.
Integration von BRFplus in die leogistics d.s.c.
Auf den Yards unserer Kunden werden täglich tausende Status gesetzt, Aktivitäten gestartet und quittiert sowie Ressourcen auf Lokationen hin- und herbewegt. Diese Vorgänge bilden die Geschäftsprozesse systemseitig ab und werden in der leogistics d.s.c. geplant, ausgeführt und vorgehalten. Die den Prozess maßgeblich beeinflussenden Geschäftsregeln werden nicht im Programmcode implementiert, was sie umständlich zu ändern machen würde. Es wurden Absprünge in das BRFplus vordefiniert, um kundenindividuelle Regelwerke mithilfe einfacher Entscheidungstabellen zu implementieren (zum Beispiel für die Ermittlung von Ziellokationen für die Bewegung von Ressourcen auf dem Yard).
Sie können flexibel und eventgesteuert in ein BRFplus Regelwerk abspringen. Es bedarf dafür keiner Programmierung und es können nicht nur einfache Entscheidungstabellen, sondern auch komplexe Regelwerke durchlaufen werden.
Praxisbeispiele: Wo setzen wir BRFplus ein?
Auf diese Weise ist es möglich, ohne weitere Programmierung das folgende Beispiel zu konfigurieren:
- Modellierung einer BRFplus-Funktion für die Berechnung einer voraussichtlichen Auslastung eines LKW.
- Einstellen eines Events für den Aufruf der BRFplus-Funktion.
- Trigger: Hinzufügen oder Entfernen von Ladung.
- Als Input werden Ladungs- und Ladungsträgerinformationen an die Funktion übergeben.
- Als Output wird die Auslastung zurückgegeben.
Das Regelwerk kann nachträglich ebenfalls ohne Programmierung geändert werden oder mit einem weiteren Trigger zu einem anderen Zeitpunkt aufgerufen werden (beispielsweise bei der Änderung des Ladungsträgertyps).
In der leogistics d.s.c. TRUCK Solution wird diese Funktionalität für viele weitere Szenarien genutzt, in denen kundenindividuelle Regeln und Anforderungen den Geschäftsprozess beeinflussen, zum Beispiel:
- Bei der Berechnung von Wartepunkten eines LKW für den Abruf in das Werk oder
- Für die Ermittlung von steuernden Prozesskennzeichen.
Mehr Flexibilität durch BRMS
So ermöglicht die neue Integrationsstufe der leogistics d.s.c. mit SAP BRFplus eine flexible Trennung kundenindividueller Geschäftsregeln vom Programmcode und Geschäftsprozessen gemäß BRMS-Ansatz. Die Ziele „Agilität“ und „Automatisierung“ können beide erreicht und Ihr Logistics Execution Management System damit auf das nächste Level gehoben werden.
Obwohl BRFplus schon seit geraumer Zeit zur Verfügung steht, ist die Lösung in vielen Unternehmen noch unbekannt und das volle Potenzial der Lösung wird selten ausgeschöpft. Sie möchten BRFplus bei der Abbildung Ihrer Geschäftsprozesse verwenden? Dann sprechen Sie uns gerne an!
Bei Fragen zu diesem oder anderen Themen im Blog wenden Sie sich gerne an blog@leogistics.com.
Niklas Schützler
Senior Consultant SAP Logistics