Interview mit Daniel Balmer, Leiter Transportlogistik Genossenschaft Migros Ostschweiz
Hallo Herr Balmer, vielen Dank für die Einladung! Schildern Sie unseren Leser:innen doch bitte einmal kurz, wo wir uns hier heute eingefunden haben.
Daniel Balmer (DB): Wir befinden uns in der Transportzentrale der Migros Ostschweiz. Hier befindet sich einerseits unser Herzstück, die Transport-Disposition, aber andererseits werden hier auch die fertig kommissionierten Paletten – wie Früchte, Gemüse und Blumen – aber auch Paletten mit Food- und Nonfood-Artikel für den Verlad bereitgestellt. Molkerei-, Convenience- und Fleischpaletten werden ebenfalls am Standort Gossau verladen. Wir transportieren pro Tag rund 8.800 Paletten und fahren 20.000 Kilometer in der Region Ostschweiz.
Wie würden Sie Ihre Rolle und ihren Werdegang bei der Migros beschreiben?
DB: Ich bin jetzt 41 Jahre im Beruf tätig, 37 davon in dieser Firma. Mittlerweile habe ich in der Logistik fast alles gemacht, was man machen kann: klassisch vom Sachbearbeiter, über Projektleiter bis hin zu Linienverantwortung und hatte immer ganz „coole Aufgaben“ zu lösen. So durfte ich als Leiter Intralogistik die vollautomatischen Kommissionieranlagen einführen. Das war der Grund, warum ich am Schluss 37 Jahre geblieben bin: weil es immer sehr spannend und herausfordernd war.
Mein Chef hat einmal gesagt: „Du bist für alles verantwortlich, was Räder hat“. Da habe ich geschluckt. Als er ergänzte: „außer den Einkaufswagen“ war ich doch etwas beruhigt. D. h. ich musste mir Kompetenz über die ganzen Transportnetze aufbauen, diese digital entwickeln und auch managen.
Heute bin ich verantwortlich für die gesamte Transportlogistik. Immer dann, wenn die einzelnen Bestellungen der Filialen in einer versandfertigen Palette zusammengefasst sind, übernimmt meine Organisation diese Palette, verarbeitet sie, transportiert sie in die Filialen und nimmt Leergut zurück. Ich bin auch noch zuständig für das Bahngeschäft sowie das Mehrweggebindemanagement der Migros Ostschweiz. Zusätzlich gehört auch die Entsorgung in meinen Verantwortungsbereich.
Können Sie sich noch erinnern, wie damals der Kontakt zur leogistics zustande gekommen ist?
DB: Wir arbeiten schon sehr lange zusammen, sicher fünf Jahre schon. Der erste Kontakt war damals auf der LogiMAT. Wir sind in der Softwarehalle unterwegs gewesen und haben alle Firmen abgeklappert: Wer bietet das an, was wir suchen? Dort wurden wir an die uns damals unbekannte Firma leogistics verwiesen. Und dann war es für uns so: Man sucht ein Produkt, aber man sucht auch einen Anbieter, der zur eigenen Philosophie passt – von der Art, vom Vorgehen, oder einfach vom Menschlichen. Es muss beides passen. Auf einer Messe sagt natürlich jeder Aussteller „Wir sind die besten, wir haben das interessanteste Produkt“ – das ist ja logisch, das machen wir genauso. Aber für uns galt es, herauszufinden, wo wirklich „Fleisch am Knochen“ ist, wie man in der Schweiz sagt.
Um das herauszufinden, habe ich im Sommer 2017 die Chance genutzt, zum leogistics Kundentag nach Hamburg zu fahren. Dabei hat mich nicht ausschließlich interessiert, was bspw. in denn einzelnen Vorträgen erzählt wurde. Mich hat interessiert, in den Pausen mit anderen Kunden zu reden und zu fragen: „Warum gehst du zu leogistics? Was machen die Anders als die anderen Anbieter? “ Von damals habe ich noch heute viele Kontakte und wir tauschen uns regelmäßig aus. Und dann hat es mit leogistics relativ schnell funktioniert. So kam der Kontakt zustande.
Wieso haben Sie sich für das leogistics Yard Management entschieden?
DB: Die Flexibilität in der Prozessabbildung war für uns ausschlaggebend. Ich habe eine klare Vorstellung davon, wie ich “mein“ Geschäft in der Zukunft erledigen möchte – aber nicht in Bezug auf Funktionen, sondern vom Prozess her. Ich denke und handle immer aus dem Prozess heraus, ich bin ein Prozess-Mensch.
Der Prozess steht im Vordergrund und die IT muss sich nach meiner Vorstellung immer dem Prozess anpassen. Ganz selten habe ich versucht, den Prozess der IT anzupassen, aber das ging meistens schief. Also musste ich einen Anbieter finden, der seine Software mit deren Funktionen, die ich als Basis sehe, mit mir weiterentwickelt. Bei leogistics habe ich verstanden, dass sie mit mir zusammen diese Entwicklung machen. Man treibt einander vorwärts. Die einen kommen von der technischen Seite, und ich entwickle den Prozess weiter. Dafür brauchte ich jemanden, der genauso denkt und handelt.
Wenn wir zurückblicken auf den Zeitraum, als Sie erkannt haben, dass bei Ihnen etwas nicht perfekt läuft: Für welche Herausforderungen haben Sie nach einer Lösung gesucht?
DB: Die Herausforderung war damals folgende: Wir hatten ein digitales Loch zu stopfen. Die Intralogistik, also die Prozesse bis zur Rampe – die haben wir in SAP EWM sehr gut digital abgebildet. Die Transportdisposition wickeln wir über das Non-SAP-System Cadis ab.
Aber dazwischen, also zwischen EWM und Cadis, gab es ein Loch, praktisch zwischen Werkslogistik und Spedition. Auf der einen Seite gibt es die Verlader, die etwas produzieren, und dann gibt es die Spediteure, die die Ware im Auftrag des Verladers um die Welt schippern. Aber das dazwischen, das gab es nicht! In der Intralogistik sagen sie: „Das ist Aufgabe der Spedition, nicht unser Thema.“ Die Spedition sagt: „Warum soll ich eine Software entwickeln? Ich muss Paletten in die Filialen schippern!“ Das ist ein Spannungsfeld. Und wir haben uns weiter gefragt, wie können wir das schließen? Schließlich kam leogistics mit drei Modulen zum Zug. Das eine ist das Yard Management für die LKW, danach das leogistics Rail für den ganzen Bahnverkehr und gleichzeitig haben wir noch das SAP TM-Frachtkosten-System mit leogistics implementiert.
Für die Migros hat die Werkslogistik einen sehr großen Stellenwert, oder?
DB: Ich habe immer besonders Wert gelegt auf Supply Chain Visibility. Wir betrachten den Prozess vom Lieferanten bis in die Filiale. Wir machen jetzt seit rund 70 Jahren “Ultra-Frische“. Ich glaube, wir verstehen das Geschäft. Es sind die Menschen, die das Geschäft hervorragend machen. Sie sind an vielen Punkten besser als jede Software, weil sie noch Emotionen, Gefühle und Gedanken hineinnehmen können, die eine Maschine nicht leisten kann.
Die Filialen sind dabei der Treiber, weil sie sich überlegen müssen, was der Kunde kaufen wird und das müssen sie in Topqualität anbieten. Dafür gibt es Prognose-Tools, die wir schon sehr früh eingeführt haben und ständig weiterentwickeln. Wenn die Software voraussagt, was der Kunden morgen kauft, dann müssen wir von dort den gesamten Prozess rückwärts denken – ein klassischer PULL-Prozess. Weil wir uns aber im Ultra-Frischegeschäft befinden, sind zwischen Filialbestellung , Lieferantenauslösung und Anlieferung in den Märkten genau 24 Stunden Zeit. Das ist verdammt wenig. Das haben wir weiter unterteilt in zwei 12-Stunden-Slots. Sie müssen also in 12 Stunden wissen: „Was will der Kunden, wann braucht er es, wann kann der Lieferant es liefern. Dann kommt noch die Kommissionierung und die Auslieferung an die Filialen dazu?“ In diesem Geschäft ist wenig Raum für Verschwendung und noch weniger Platz für Leerläufe. Alles muss minutiös geplant und getaktet sein.
Und dann gibt es im Werksverkehr, wo alle Fäden zusammenlaufen, plötzlich ein schwarzes Loch! Das geht natürlich gar nicht. Das Yard Management ist der Dreh- und Angelpunkt für unsere ganze Supply-Chain-Planung und hat dieses digitale Loch “gestopft“ oder anders ausgedrückt “eliminiert.“
Die Filiale sagt, wann sie etwas in welcher Menge will. Dazu kommt die Transportzeit. Ab dann muss der ganze Prozess diesem untergeordnet sein. Das Yard braucht Zeit, um die Pläne zu machen, die Intralogistik braucht Zeit, um die Spedition zu füllen, dann müssen die Paletten direkt auf die Verladezeit produziert werden, dann muss der Lieferant den Wareneingang platzieren. Da haben Sie verdammt wenig Zeit.
Brauchen Sie in Ihrem Prozess einen zentralen Leitstand, um das alles auf dem Werksgelände zu koordinieren?
DB: Nein, wir haben keinen Leitstand für das Yard. Die Planung gibt vor, was wir wann zu den Filialen transportieren. Es gibt vor, zu welchem Tor man muss und was für einen Aufliegertyp man braucht. Früher hat das System einen ganzen bestimmten Auflieger vorgesehen. Dann musste der Werkverkehr suchen, wo genau dieser steht. Heute sagt das System: „An diesem Tor brauche ich um 23 Uhr einen Auflieger mit 33 Paletten.“ Das leogistics Yard Management übernimmt dann die Prüfung, welcher Auflieger verfügbar ist. Wenn der Werkverkehr aber einen anderen passenden nimmt, spielt das überhaupt keine Rolle. Und das ist der große Vorteil.
Eine Leitstandfunktion haben wir quasi als Herzstück der Lösung im Hintergrund implementiert – der funktioniert aber automatisiert! Es gibt einen Schichtleiter, der die Gesamtverantwortung hat. Er arbeitet selbst, hat aber ein zweites Tablet und kann gewisse Aufträge von dort steuern. Aber im Normalfall macht er das nicht, weil das System die Aufträge automatisiert vergibt. Die Leute arbeiten also fast auf gleicher Ebene mit gleicher Verantwortung und müssen alle miteinander die Verladewelle bewältigen.
Welche Bedeutung hat der Faktor Mensch im Projekt gespielt?
DB: Wenn Sie in einem Betrieb arbeiten, der an fast 365 Tage rund um die Uhr ausgelastet ist, dann haben Sie immer Abgänge, Schnittstellen, Urlaubsvertretungen und vor allem Schichtwechsel usw. Dort gehen Informationen verloren, dort wird es ineffizient, dann findet man die Auflieger nicht oder stellt die Falschen. Da ist eine Software einfach besser, weil sie einen großen Vorteil hat: Sie vergisst nicht.
Wir wollten den Prozess vereinfachen. Immer dann, wenn neue Leute dazu gekommen sind, wurde es schwierig. Oder beim Schichtwechsel. Dabei gingen enorm viel Ressourcen und Zeit verloren. Außerdem hatten wir eine Zeit lang Probleme, Leute für den Werksverkehr zu finden. Ich habe mich gefragt, warum das so ist, und habe gemerkt, dass das Problem die zunehmende Komplexität auf dem Hof ist.
Das heißt, die Fahrer fühlen sich heute wohler mit ihren Arbeitsaufträgen auf einem Tablet und arbeiten diese ab?
DB: Genau, aber es ist auch so, dass die Leute wissen, welches der nächste Auftrag ist, sie aber auch etwas anders machen können! Es gibt nur eine Verpflichtung: Wenn sie etwas anders machen, müssen sie es dem System „sagen“. Das war eine Funktion, die wir gemeinsam mit leogistics entwickelt haben:
Mit dem Yard Management ist es wie mit einem Navigationssystem: Wenn ich mich nicht auskenne, werde ich mich einfach am Systemvorschlag orientieren. Damit gibt mir das System Sicherheit und ich komme ans Ziel! Wenn du es jedoch aus viel Erfahrung besser weißt, dann mach es so, du musst es nur dem System bekanntgeben. Diese Kombination macht für uns den Erfolg der Software aus. Das sind clevere Funktionen und bringen damit einen Mehrwert.
Vielen Dank für das tolle Gespräch, Herr Balmer!